Fantasylektorat


Die allermeisten Geschichten sind erfunden. Selbst ein historischer Roman oder eine Biografie ist komponiert und enthält für gewöhnlich Elemente, die frei erfunden oder zumindest nicht historisch belegt sind.
In der Fantasyliteratur jedoch sind fantastische, also unrealistische, Elemente ganz zentraler Bestandteil der erzählten Handlung, der handelnden Figuren und ihrer Welt.


Weltenbau (world building)

Die High Fantasy stellt höchste Ansprüche an ein durchdachtes Worldbuilding, doch gelten die folgenden Hinweise für alle Formen der Fantasyliteratur. Denn wer möchte schon riskieren, dass vollkommen verwirrte Leser den Roman nicht mehr weiterlesen mögen?

Wenn also Flüsse bergauf fließen, sollte das schon eine plausible Begründung haben, z. B. einen speziellen Schutzzauber oder ein Gravitationskraftfeld. Ein einsamer Berg wird wohl ein erloschener Vulkan sein und vielleicht bebt dort die Erde auch immer noch. Auch in einer Fantasywelt gehen denkende Wesen den Weg des geringsten Widerstands und bauen bspw. ihre Häuser dorthin, wo sie gut an Nahrung und Wasser kommen ohne regelmäßig von Fluten überschwemmt zu werden. Magie ist keine Entschuldigung für ein schlechtes Worldbuilding, denn auch Magie folgt immanenten Regeln. Sonst wäre alles willkürlich und chaotisch und für die Leser nicht mehr ernstzunehmen.

Andererseits bedeutet ein fein ausgearbeiteter Weltenbau nicht, dass der Roman dadurch unendlich lang und ausschweifend wird. Es ist nicht notwendig, alles haargenau zu beschreiben. Autoren sollten ihre Fantasy-Welt kennen, die Landschaft mit ihren Jahreszeiten und ihrem Klima, die Ortschaften mit ihren Bauten und ihrer jeweiligen Bevölkerung lebendig werden lassen. Doch nicht mit seitenlangen erklärenden Beschreibungen. Wie ein neu eingeführter Ort aussieht, kann viel besser durch die Sinne eines handelnden Charakters der Geschichte geschehen, bspw. während eines Rittes zur Burg oder einer Fahrt auf dem Fluss.


Show, don't tell!

Ein weiterer Fehler, der leider viel zu häufig gemacht wird, ist, dass Beschreibungen, Erklärungen und Rückblenden in Form von Erinnerungen mitten in einer eigentlich spannenden Szene eingefügt werden. Wenn während eines Kampfes der Held darüber nachsinnt, woher wohl die Waffe seines Gegners stammt, ob sie ein Erbstück ist und wie sich die Familienverhältnisse seines Clans in den letzten vier Generationen entwickelt haben, dann ist das nicht nur unglaubwürdig, sondern lenkt vor allem massiv vom eigentlich Geschehen ab. Nicht nur der Held könnte mit all diesen Gedanken im Kopf nicht mehr kämpfen und wäre ein leichtes Opfer, sondern auch die Leser werden aus der Aktion herausgerissen und auf eine reflektierende Ebene entführt, die mit dem Kämpfen nichts mehr zu tun hat.

Das Gleiche gilt für Dialoge. Gespräche sind ebenfalls Handlungen, die in Echtzeit ablaufen. Währenddessen bleibt nicht viel Zeit für weitschweifige Exkurse. Um die Leser nah am Geschehen und an den Figuren zu halten, sollte deshalb der Text wenig mehr als das Gesagte widergeben. Bestenfalls einige knappe Formulierungen, die erkennen lassen, wie etwas gesagt wird. Das können Verben wie „sagte“, „fragte“, „antwortete“, „sprach“, „nuschelte“, „flüsterte“, „rief“ oder „brüllte“ sein, evtl. ergänzt durch einzelne Adjektive oder kurze Phrasen, wie „mit hängenden Schultern“, „mit geweiteten Augen / die Augen weit geöffnet“, „ärgerlich“. Zwischendurch darf auch gerne mal ein ganzer Satz die Handlung beschreiben: „Sie blinzelte gegen die Sonne.“, „Langsam setzte er die Truhe ab.“

Die Zauberformel heißt hier: Show, don't tell! Gemeint ist, dass so wenig wie möglich von einem allwissenden Erzähler erklärt und beschrieben wird und stattdessen die Leser das Gefühl haben, selbst am Geschehen teilzuhaben, weil sie alles aus der Sicht eines der Charaktere wahrnehmen.

Meisterhaft zelebriert das Michael Ende in „Die unendliche Geschichte“ (Stuttgart: Thienemann, 1979): Bastian schwänzt den Schulunterricht und liest heimlich auf dem Dachboden seiner Schule eine Abenteuergeschichte mit dem Helden Atréju. Der Text der Geschichte in der Fantasywelt ist in Michael Endes Buch in grüner Schrift gedruckt. Immer, wenn wir als Leser etwas über Bastian erfahren, dann ist dies in roter Schrift gedruckt. Je länger Bastian, und mit ihm der Leser, liest, desto näher kommen sich die beiden Perspektiven (S. 70 f.):

„... Ygramul fühlte plötzlich, daß sich ihr etwas näherte. Sie fuhr blitzschnell herum, und ihr Anblick war entsetzlich: Sie war jetzt nur noch ein riesenhaftes stahlblaues Gesicht mit einem einzigen Auge über der Nasenwurzel, das mit einer senkrechten Pupille voll unvollstellbarer Bosheit auf Atréju wartete.

Bastian stieß einen leisen Schreckenslaut aus.

Ein Schreckensschrei hallte durch die Schlucht und wurde als Echo hin- und hergeworfen. Ygramul drehte ihr Auge nach links und nach rechts, um zu sehen, ob da noch ein anderer Ankömmling war, denn der Junge, der wie gelähmt vor Grausen vor ihr stand, konnte es nicht gewesen sein. Aber da war niemand.

»Sollte es am Ende mein Schrei gewesen sein, den sie gehört hat?« dachte Bastian zutiefst beunruhigt. »Aber das ist doch überhaupt nicht möglich.«

Und nun hörte Atréju Ygramuls Stimme. ...“


Es geht direkt wieder mit Atréjus Geschichte weiter, denn natürlich denkt Bastian nicht weiter nach, sondern liest lieber, was weiter geschieht.


Stringenz

Gerade in der epischen High Fantasy besteht die Kunst oft darin, den Text zu kürzen.
Viele Ideen führen manchmal dazu, dass der rote Faden in der Erzählung verlorengeht. Es tauchen immer mehr Figuren und Motive auch, die dann aber nicht weiterverfolgt werden oder den ursprünglichen Handlungsstrang so sehr in den Hintergrund drängen, dass man ihn komplett vergisst. Wenn dann in einem späteren Kapitel wieder daran angeknüpft wird, können die Leser nicht mehr folgen, weil sich soviel anderes dazwischengeschoben hat. Es ist immer sehr ärgerlich, wenn man dann mühsam wieder in den ersten 100 Seiten blättern und suchen muss, wer die wichtigen Personen in diesem Handlungsstrang nochmal waren und was bisher passiert ist.

Bestes Beispiel für eine solche Erzählweise ist wohl George R. R. Martins „A Song of Ice and Fire“ (HBO-Serie „A Game of Thrones“):
Bei ihm ploppt mit jedem neuen Erzählmotiv eine relativ große Anzahl neuer Charaktere auf. Seine Lösung ist es, einfach frühere Charaktere, die den neuen zu ähnlich sind, sterben zu lassen. Viele Geschichten bleiben jedoch ungelöst und hängen quasi in der Luft. Martin hat sein Epos denn auch bis heute nicht vollendet. Die Drehbuch-Schreiber der HBO-Serie mussten sich in den letzten beiden Staffeln so Vieles selbst ausdenken, dass die Fans unbefriedigt zurückbleiben.


Weniger ist mehr

Weniger ist also manchmal wirklich mehr:
Weniger Text, weniger Figuren und weniger Hintergrundwissen –
aber viel mehr nachvollziehbare, spannende Geschichte.

Und wenn die Geschichte wirklich gut war, dann wollen Leser mehr davon. Alles, was in diesem einen Roman nicht erzählt wurde, kann wieder Ausgangspunkt für weitere Geschichten im gleichen Universum sein. Wenn man beim Planen oder Schreiben also merkt, dass da noch Potenzial für weitere Erzählungen steckt, dann sollten Autoren sich das gleich vermerken und im Hinterkopf behalten.


Dies sind nur einige Beispiele dafür, was eine gute Geschichte ausmacht.

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